Unvorstellbar…und doch geschieht es

Erst zuletzt habe ich mich dazu geäussert, was wir uns so alles vorstellen können.
Die Phantasie ist schliesslich neben der Neugierde eine der treibenden Kräfte menschlicher Entwicklung. Wenn wir uns gemeinsam etwas vorstellen, dann muss das nicht gleichbedeutend mit einem für uns angenehmen Ereignis sein. Es kann sogar der blanke Horror sein. Für die Einen absurd, menschenverachtend, gefühllos und psychopathisch. Für die Anderes ein intensives Wohlfühlprogramm, da sie ihre Visionen für allgemeingültig deklarierend Abermillionen von Ja sagenden, speichelleckenden Gefolgsleuten generieren, die dann ihre verschrobenen Visionen ins Werk setzen.
Deswegen können Plebiszite so ausserordentlich gefährlich sein, vor allem dann, wenn sie, nur weil es ein Volksentscheid ist, ausserhalb der Rechtsnormen gestellt werden bzw.die Rechtsnormen so abgeändert werden, dass im Grunde einst Unvorstellbares plötzlich rechtlich möglich wird. Nehmen wir uns kurz als Beipiel dienend die Todesstrafe, die Abschiebung, die Aufnahme von Menschen auf der Flucht. Denkt ihr, dass sich in unserem schönen Land nicht deutliche Mehrheiten bilden, wenn es um das Pro dieser Themenbereiche geht?! Deswegen dürfen Plebiszite nicht ohne einen eindeutigen Rechtsrahmen stattfinden! Und deshalb ist die in unserer Verfassung verankerte Gewaltenteilung so ausserordentlich wichtig. Diktaturen sind im Unterschied zu den der Gewaltenteilung obliegenden Demokratien diesbezüglich gleichgeschaltet. Einige der existierenden Demokratien sind nur „Hüllen-Demokratien“ und in Wirklichkeit „Parteien-Diktaturen“ oder „Präsidial-Diktaturen“, denn die Exekutive, Judikative und Legislative werden durchgehend von einer Partei oder einem Präsidenten gleichgeschaltet im Sinne der Machtausübung.
Unvorstellbar, um beim Thema zu bleiben,  wären diese Pseudo-Demokratien, wenn es eine strikte Gewaltenteilung gäbe, denn dieser ist wie ein Schutzwall für den verbindlichen und einzuhaltenden Rechtsrahmen z. B. in Form der in der Verfassung fixierten strikten Wahrung der Menschenrechte in Form von Grundrechten. Erst dadurch ist es möglich,  Sanktionen durchzusetzen gegen jene, die versuchen, eine solche Verfassung einfach zu negieren oder durch ständiges juristisches Herumbasteln, z. B. an den verfassungsgemäßen Grundrechten, auszudünnen. In einem gleichgeschalteten Gesellschaftssystem ist das Wahren von Menschenrechten und erst recht das juristische Aufrufen von Verletzungen derselben geradezu ins Gegenteil verkehrt und wird zu einer Straftat gegen den Staat. Der aktuelle Fall eines Arztes, der lange vor dem eigentlichen epidemischen Ausbruch des Corona-Virus gewarnt hat, und vor allem dessen Behandlung durch die Staatsorgane ist geradezu exemplarisch für eine gleichgeschaltete Parteiendiktatur.

Nun berichte ich euch aber vor einer für mich kaum zu fassenden Unvorstellbarkeit. Sie geschieht in meinem Heimatlandkreis. Um euch einzustimmen auf das bevorstehende Thema, ein paar kurze Erläuterungen dazu. Es geht darum, dass der amtierende Landrat als vom Volk 2016 gewählter oberster Hauptverwaltungsbeamte auf Zeit (seine Legislaturperiode dauert fünf Jahre) in Abstimmung mit den anderen, vom Volk gewählten Hauptverwaltungsbeamten der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die Vision einer sog. Wirtschaftsentwicklung auf Kreisebene haben.
Und selbstverständlich haben oder werden sich alle diese kommunalen Selbstverwaltungsorgane – also die dazugehörigen Räte – die nur indirekt vom Volk gewählt werden im, Gegensatz zu den Hauptverwaltungsbeamten (Bürgermeistern),die direkt gewählt werden -mit dem Thema einer gemeinsamen Wirtschaftsentwicklungs-GmbH (hier der Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH) befassen  und beschliessen dazu. Erst unlängst hat bereits die kreiszugehörige Stadt Königslutter und ihr Stadtrat einen positiven Beschluss dazu gefasst. Eigentlich ist es unvorstellbar, dass das geschehen konnte, wenn doch der Kreistag noch gar nicht beschlossen hat. Man mag daran erkennen, dass es Abläufe gibt, die jahrzehntelang erfolgreiche und stillschweigend akzeptierte Verhaltensweisen auf den Kopf stellen. Man darf sogar von Manipulation auf den Gesamtvorgang sprechen, aber auch von der Gefahr, dass ein Stadtrat etwas beschliesst, was vom Beschluss des in dieser Sache wichtigsten Gremiums, dem Kreistag völlig abweicht.

Mir geht es, um es vorweg zu nehmen, nicht darum, dass ich im Zuge dessen beruflich  auf Eis gelegt wurde, und mir geht es auch nicht darum, dass sämtliche Aufgabenstellungen dieser Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH eins zu eins meinem bestehenden und bald dann ehemaligen Aufgabenprofil entstammen. Wenn die politische Steuerung der Verwaltungen in meinem Landkreis denkt, das soll so sein, dann wird man für mich schon eine neue Aufgabenstellung finden (müssen).

Schaut euch einmal die hier dargelegten Dokumente vorher an. Übrigens, es sind öffentlich zugängliche Dokumente, die auf der Homepage des Landkreises Helmstedt veröffentlicht werden und damit jedem zugänglich sind, der über einen Internetanschluss verfügt.
Wenn der Landkreis Helmstedt eine eigene GmbH gründen möchte, dann gibt es gesetzlich festgeschriebene Abläufe, die in ihrer Reihenfolge durchaus variiert werden können. Dennoch ist es aus Sicht vieler Profis in diesem Metier empfehlenswert, eine strategische Vorgehensweise vorzunehmen.
Zunächst sollte demzufolge das zuständige Innenministerium des Landes eine Genehmigung aussprechen. Dieses prüft die Rechtmäßigkeit der GmbH-Gründung.
Dann müssen sich der oder die öffentlich tagenden  Fachausschüsse, dann der nicht öffentlich tagende Kreisausschuss und zuletzt der öffentlich tagende Kreistag mit den für die Gründung einer GmbH seitens der Verwaltung vorgelegten Vorlagen beschäftigen und dazu dann abstimmen. Eine ähnliche Vorgehensweise gilt für alle kommunalen Gesellschafter.
Zudem muss ein Betrauungsakt erfolgen, im Kreistag wie auch den anderen kommunalen Gesellschaftern, also deren Stadt-und Gemeinderäten. Und erst dann kann die GmbH ins Werk gesetzt werden.

Hier nun der Tagesordnungspunkt 11/2020 für den Fachausschuss Wirtschaft, der die gerade genannte Ausschussserie beginnt und einen Empfehlungsbeschluss abgibt. Das bedeutet, er beschliesst nicht im Sinne Ja, so wird das gemacht oder Nein, so wird das nicht gemacht. Der Fachausschuss gibt eine Handlungsempfehlung per Beschluss für den Kreisausschuss und danach dann den rechtlich eigentlich beschliessenden Kreistag ab. Wesentliche Dokumente für die Gründung einer Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH sind die Entwürfe eines Gesellschaftervertrags und eines Finanzierungsvertrag.

Unvorstellbares:

Wenn eine kommunale GmbH ins Werk gesetzt wird, dann gibt es dabei einige kritische inhaltliche Punkte, die allen bei der Gründung Beteiligten bewusst sein sollten oder die diese sich vor einer Beschlussfassung für die Gründung einer kommunalen GmbH bewusst machen sollten.

Um es euch als Leserschaft zu vereinfachen, habe ich hier einen Auszug eines Berichtes des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein anbei gelegt. Zudem habe ich einen Bericht des Deutschen Instituts für Urbanistik verlinkt.

Im Abgleich mit diesen Kenntnissen fällt mir persönlich folgendes ins Auge bei der geplanten Gründung der Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH:

  1. Im Finanzierungsvertrag wird davon gesprochen, dass alle Gesellschafter einen Betrag in Höhe von 3,00 EURO pro Bürger:in bezahlen. Der Landkreis Helmstedt selbst bei einer Bevölkerung von ca. 90.000 Personen also 270.000,00 EURO pro Jahr, die kreisangehörigen Gemeinden und Städte dann entsprechend ihrer Bevölkerungsanteils deutlich kleinere Beträge. Alle Gesellschafter verpflichten sich, bis einschliesslich 2025 diese Finanzierungsbeiträge aufzubringen. Wichtig ist, der Landkreis Helmstedt ist also Hauptfinanzierer = Gesellschafter der zu gründenden GmbH
  2. Im Gesellschaftervertrag dann wird von der Einrichtung eines Aufsichtsrates ausgegangen, dessen Stimmanteile gleich sind. Und das obwohl von den Anteilen der Stammeinlagen der GmbH wie auch des jährlichen Finanzierungsbeitrags der Landkreis selbst die Hauptanteile aufzuweisen hat.
  3. In  einer GmbH geht die Macht von einer Gesellschafterversammlung aus. Sie ist nur dann abwandelbar, wenn das in einem Gesellschaftervertrag entsprechend geregelt ist. Dennoch darf die zentrale Machtstellung der Gesellschafterversammlung nicht ausgehöhlt werden, so dass man etwaig von einer feststellbaren Aushöhlung dieser Befugnisse sprechen kann.
  4. Der, dem oder den Geschäftsführ(er:in)ungen muss ein zentraler und unentziehbarer Kernbereich der Geschäftsführung verbleiben. Dieser ist demnach zwar weisungsgebunden und zwar für gewöhnlich an die Weisungen der Gesellschafterversammlung und nicht wie im vorgelegten Entwurf an die Anweisungen des Aufsichtsrats gebunden. Ein Aufsichtsrat wird für gewöhnlich erst bei GmbH mit mehr als 500 Mitarbeitern eingerichtet, wobei es auch für kleinere GmbH möglich ist, doch der Aufsichtsrat bleibt ein von der Gesellschafterversammlung gesteuertes und damit weisungsabhängiges Organ der Gesellschafterversammlung.

Und somit ergibt sich für mich persönlich eigentlich Unvorstellbares, denn

  1. In dem hier vorgelegten Entwurf eines Gesellschaftervertrags  besteht die Gefahr, dass der Landkreis Helmstedt als Hauptanteilseigner und Hauptfinanzierer keine Macht über seine eigene GmbH ausüben können wird. Zudem wurde fixiert, dass alle Gesellschafter eigene wirtschaftsförderliche Tätigkeiten ausüben können. Ja, wozu denn dann eine „gemeinsame“ Wirtschafts-GmbH?
  2. Die Gesellschafterversammlung wird meiner Meinung nach zu einer machtlosen Hülle, die einmal im Jahr zum Abnicken, gegenseitigen Händeschütteln und Kaffeekränzchen zusammen kommen darf. Von der eigentlich steuernden und gestaltenden Funktion einer Gesellschafterversammlung als zentralem Organ einer GmbH bleiben nur nichtssagende und wenig wirksame Aufgabenstellungen.
  3. Die zentrale Machtfunktion wird auf den Aufsichtsrat verlagert, in dem aber wie unter 1. dargestellt der Hauptfinanzierer und Stammeinlagenhalter nur eine Stimme hat und somit jederzeit von den anderen Gesellschaftern gesteuert und gelenkt werden kann.
  4. Das Organ Geschäftsführung wird zu einer handlungsunfähigen und völlig abhängigen Einheit und weist kein bedeutsamen Kernbereich auf, wie es eigentlich im entsprechenden Gesetz vorgesehen ist.
  5. Aus dem Berichten des Landesrechnungshofs Schleswig Holstein und dem Institut für Urbanistik ist ableitbar, dass bei kommunalen Gesellschaften mbH die Beteiligung der Politik als steuerndem Element für die Gesellschaftsvertretungen ein geregelter (hier zeitlich möglicher Vorlauf) Beteiligungsablauf der politischen Gremien zwingend vorgeschrieben ist, um den Gesellschaftsvertretungen Handlungsanweisungen für die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung zu erteilen. Doch der Landkreis Helmstedt hat nur eine Stimme sowohl in der Gesellschafterversammlung wie auch dem hier qua Satzung machtvollen Aufsichtsrat und folglich bestimmen im Grunde genommen Mehrheitsverhältnisse im Aufsichsrat über das Wohl und Wehe der Gesellschaft, selbst wenn die Politik des Hauptanteilseigner und Hauptfinanzierers vielleicht eigene Vorstellungen hat.

Ich bin ob dieses Entwurfs geschockt und es ist für mich unvorstellbar, dass das wichtigste Steuerungsorgan, der zugleich Hauptstammanteilseigner und Hauptfinanzierer dieser zu gründenden GmbH ist, der Kreistag und seine Fachausschüsse zu machtlosen Organen und Instituten werden. Dass sogar im Gegenteil, der vom Volk gewählte Landrat als Organ und Hauptverwaltungsbeamter sich selbst entmachtet und den Kreistag dazu anhalten möchte, die Hauptsteuerung abzugeben und sich in dieser Sache selbst zu entmachten, obwohl er im Grunde genommen die zentrale Steuerungs-und Machtbefugnisse hätte und haben muss.

Nun, ich bin gespannt, denn etwas Unvorstellbareres habe ich in fast 30 Jahren als Bürger dieses Landkreises noch nicht erlebt. Das Sagen haben die demokratisch legitimierten Gremien und das Innenministerium, nicht ich. Dennoch erlaube ich mir, eine inhaltliche Kritik zu veröffentlichen und möchte hier gleich vorwegschicken, dass ich das ausdrücklich NICHT als Wahlkampf betrachte, auch wenn ich 2021 zur Kommunalwahl erneut antreten möchte.
Die Kommunalwahl und damit Wahl für den Posten eines oder einer Lanndrats:rätin wird erneut ein große Herausforderung für mich sein, denn ich habe keine Verwaltung im Hintergrund, um mich wahlkampftechnisch zu positionieren. Demnach habe ich weder einen Chauffeur, der mich zu allen möglichen medienwirksamen Auftritten chauffieren kann, noch verfüge ich über Organe, die wahlkampftechnisch ausgerichtete Presseverlautbarungen und -aktionen vorbereiten können. Ich gehöre auch keiner Partei an, die mich luxusmäßig mal eben kurz nominiert,sondern ich werde erneut über 230 Unterstützungsunterschriften sammeln müssen, um überhaupt auf die Wahlliste bei der Kommunalwahl 2021 kommen zu können.

Doch das ist hier nicht von Belang. Von Belang ist, wie sich das politische Steuerungs- und Kontrollgremium des Kreistages und das Innenministerium zu den hier kritisierten Vorlagen und denen damit verbundenen Beschlussempfehlungen positioniert.

 

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