Schaue ich nach Innen, in mich hinein…

dann sehe ich auf ein Leben, das wie im Fluge vorüberzieht. Ich durchwanderte Landschaften voller Höhen und Tiefen. Fruchtbare Tallagen wechselten mit der Zeit zu schroffen und ausgelaugten Gebirgszügen und umgekehrt. Mal sehe ich alles im Kalt des Winters, mal in der gleissenden Sonne des Sommers, doch immerdar spüre ich, dass die Wanderung durch das Leben ein dauerndes Mühsal ist.

Auf meinem Weg habe ich viele Menschen gesehen und einige davon auch näher kennengelernt. Oft verweilte ich einen Moment, denn ich hatte den Wunsch an der Seite der mir freundlich begegnenden Menschen zu sein. Leider verliessen mich viele. Sie verblassten einfach in der Zeit oder wir gingen  aus vielerlei Gründen getrennte Wege.

Bei einigen dieser Menschen fühle ich Bedauern, denn ich nahm sie als wirkliche Menschen wahr. Dennoch trennten sich unsere Wege immer wieder aufs Neue und ich wanderte weiter alleine durch mein Leben. Ich lernte, dass die Mehrzahl der mir begegnenden Menschen einen Gutteil ihrer Zeit damit verbringen, andere, also auch mich selbst, für die ihnen wesentlichen Belange zu manipulieren und auszunutzen. Es ist wie in einem Theaterstück. Ich spielte eine bestimmte Rolle, die sie mir zudachten. Und wenn ich sie nicht so spielte wie es ihnen gefiel, dann verliessen sie mich oder ich beschloss, meinen eigenen Weg weiter zu suchen, ohne sie.
Und so verlor ich im Laufe der vielen Wanderjahre nach und nach den Gedanken, dass ich irgendwann einen Ort mit Menschen finde, die mich so nehmen wie ich bin. Ich bin wahrlich kein begabter Schauspieler, doch bin in der Lage, selbst die Dschungel des Zwistes, der Missgunst, der Niederträchtigkeit zu durchwandern und habe dabei festgestellt, dass je dichter dieser Dschungel und je bedrohlicher er im Laufe der Zeit wird, er dennoch große und wundervolle Entdeckungen bereithält. Je ärger die Agonie des Entzugs und je umfassender die Bedrohlichkeit, desto tiefergehender sind die durch diese Erfahrungen entstehenden Erkenntnisse. Es ist als würdest Du durch äusserlich zugefügten Schmerz innerlich stärker werden. Wenn Du das Glück hast, dies alles zu überleben, dann magst Du, wie ich selbst auch, vielleicht erkennen, dass Du gewappneter  und gegebenenfalls sogar gestärkter weiter Deines Weges gehst. Ich habe das so empfunden  als hätte ich einen großen Schatz gefunden. Er lag nicht irgendwo in diesen Dschungeln herum, sondern ich fand ihn in mir selbst. Im Moment der Gefahr habe ich das natürlich nicht so interpretiert. Im Gegenteil, ich jammerte oft, fühlte mich schwach, verletzlich und manches mal auch sehr einsam. Vielleicht liegt darin eines der Mysterien der Lebenswanderungen. Je mehr Du Deinen eigenen Weg suchst, desto einsamer wird dieser Weg. Zuerst wagst Du Dich nur einige Schritte in die sich vor Dir auftuenden, neuen Landschaften. Viele verharren an diesen Übergängen und noch mehr gehen nicht mehr weiter. Sie sind am Ende ihres Weges angelangt und lassen sich nieder. Viele hegen die Hoffnung, dass dieser Platz der Ort ihres Lebens für immerdar ist und sein wird. Doch ich sage euch, der überwiegende Teil wird wieder aufstehen und weitergehen. Ich begegnete einer Vielzahl solcher Menschen in den ausgedörrten Wüsten oder den bedrohlichen, vor Leben strotzenden Dschungeln. Viele waren am Ende ihres Lebenswegs und verzweifelt, andere wiederum berichteten mir von abenteuerlichen Begegnungen und Geschehnissen. Diese Lebenswanderer sind mir die sympathischsten von allen meinen Begegnungen. Sie sind zwar meist verschlossen wirkende Menschen, doch das sind sie gar nicht. Sie haben nur gelernt, vorsichtig zu sein. Und sie kennzeichnen sich durch den „tiefen“ Blick. Sie sind, wie auch ich heute, in der Lage, einen Menschen und sein Wesen zu erkennen. Ich traf auf Menschen, die mir anvertrauten, dass sie mich schon eine geraume Zeit wahrgenommen hatten, doch sich aus Vorsicht nicht annäherten. Oft haben wir dann festgestellt, dass es mir ebenso widerfahren war. Auch ich hatte sie gespürt und beobachtet, ohne mich ihnen anzunähern. Solche Begegnungen sind mir im Nachhinein die Schönsten, denn es war als würde sich alles um einen herum nach und nach in einen Ort verwandeln, an dem man gerne verweilt.

Selbst wenn um Dich herum Stürme toben, der Regen Dich wegzuschwemmen droht oder die Trockenheit Deinen Rachen völlig ausgetrocknet hat. Begegnete ich so einem Menschen, bildete sich eine Art durchsichtige Schutzkugel. Das kleinste Feuer, der löcherigste Schutz vor den Unbilden der Natur , sie wurden zum Hier und Jetzt, das von besonderer Größe und Güte war. Und das nur, weil sich zwei wahrhaftige Lebenswanderer dazu entschlossen, dem Anderen zu vertrauen und gemeinsam zu lagern und einander von den eigenen Wandererlebnissen zu berichten und dem Anderen inständigst zu lauschen, wenn er ins Erzählen kam.

Und wo immer auch Deine Wege hinführen, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du Wege findest, die Dich wachsen lassen, die Dir das ewige Geschenk der Zeitenwanderer darreichen – das Erlebnis des Sinns Deines einzigartigen Weges.

 

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