10.11.2014
Momentan wird in der Region Braunschweig- Wolfsburg-Salzgitter und dort vor allem in den Landkreisen Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Wolfenbüttel und Peine darum gerungen, dass man möglichst umfassend an dem Förderprogramm LEADER der Europäischen Union teilnehmen kann. Dazu sollen sich auf freiwilliger Basis sogenannte Lokale Aktionsgruppen (LAG) gründen, die dann selbst ernannte Schwerpunktprojekte betreuen und ausführen, selbstverständlich im Rahmen der Vorgaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums.
Zuvor muss aber ein sog. Regionales Entwicklungskonzept oder ein Integriertes ländliches Entwicklungskonzept erstellt werden. Es ist naheliegend, dass es eine detaillierende Regelung gibt, wie ein solches REK auszusehen hat. Wird ein neues ILEK angefertigt, so bewirbt sich die „Region“ als sogenannte ILE-Region (ILE = Integrierte ländliche Entwicklung) und nicht als LEADER-Region.
Erst danach entscheiden dann die Ämter für regionale Landesentwicklung und das ML darüber, ob das jeweilige REK oder ILEK ausgewählt wurde und sich dann eine entsprechende LAG oder ILE-Region etablieren kann. Sowohl die Erstellung der REKe wie auch der ILEKe werden bezuschusst, was aber nicht zwingend notwendig zu einer Förderung der LAG oder ILE-Region im Zeitraum von 2014 – 2020 führen muss.
Die Vorgaben seitens des ML, und damit abgestimmt der EU, lauten:
– Unterstützung der regionalen Wirtschaftsentwicklung
– Möglichst positive Beeinflussung der demographischen Entwicklung
– Berücksichtigung des Themenbereichs Klima- und Umweltschutz
Wie es inzwischen bei den Förderprogrammen üblich ist, wird bei der Bewertung der eingereichten Anträge ein Punktesystem zur Bewertung zum Einsatz gebracht.
Im Bereich des Landkreises Helmstedt haben sich interessanterweise gleich zwei potenzielle LAG gegründet, die jeweils mit einem eigenen Antrag in den Wettbewerb eintreten.
Die Vorarbeiten eines Integrierten ländlichen Entwicklungskonzepts (ILEK), das in der vergangenen Förderperiode 2007-2014 seitens des Landkreises Helmstedt in Zusammenarbeit mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden sowie gesellschaftlichen Institutionen und interessierten Privatpersonen angefertigt worden ist, wurden per Ratsbeschlüssen in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden des Landkreises Helmstedt für obsolet erklärt. Somit wurden die Ergebnisse des ILEK des Landkreises Helmstedt nicht als Grundlage genutzt und fanden keine inhaltlich qualitative Fortsetzung. Auch hat keine diskursive Vorprüfung auf Aktualität, ggf. Machbarkeit und Weiterführung oder gar Übernahme stattgefunden. Das Rad wird demnach neu erfunden.
Da pro zu gründender LAG max. 2,4 Mio. EURO im Zeitraum von 2014-2020 bereit gestellt werden können, trat man also lieber in einen kleinteiligen Wettbewerb ein. Diese kleinteilige Wettbewerbssituation mag aus einem Konkurrenzdenken abgeleitet worden sein und ihre Begründung darin finden, dass man auf diese Weise ggf. zwei mal 2,4 Mio. EURO in einem relativ kleinteilig abgegrenzten Gebiet „einwerben“ kann, doch in der Sache wird es aller Voraussicht nach wenig dienlich sein, denn die räumliche Komponente ist dermaßen kleinteilig, dass es schon rein planerisch zu einer Farce werden kann. Beispiel: Man stelle sich vor, es wird nur eine der LAG ausgewählt und diese möchte nun Radwege bauen oder im Gesamtnetz etablieren, dann enden diese wohlmöglich zukünftig an einer Gemeindegrenze zu einem benachbarten Gebiet, was keine LEADER-Region geworden ist. Also selbst landkreisinterne Radwege können so an dieser Kleinteiligkeit dann zumindest planerisch kritische Dimensionen erreichen.
Bei der Bildung der LAG wie auch bei der dazugehörigen geographischen Verortung ist damit bereits ein erstes kritisches Momentum zu erkennen. So wurden die geographischen Zuschnitte frei nach politischem Gusto gebildet und basieren nur bedingt auf einem objektiven Indikatorenbündel, das die bestehenden räumlichen Verbindungselemente oder potenziellen Verbindungsansätze berücksichtigt, wobei das Gebiet des Wasserverbands Weddel-Lehre für die LAG-West zumindest eine erkennbare organisatorische Basis darstellt. Im Bereich Ost sieht es dagegen anders aus. Hier fokussiert man auf das verbindende räumliche Element des sog. Grünen Bandes, also der Naturisierung der ehemaligen „Zonengrenze“, die über die Umweltbereiche seit Jahren praktiziert wird. Interessanterweise sind aber die relevanten Institutionen in der LAG-Ost noch nicht integriert worden.
Hier wurde gerade ein Indikatorenbündel für eine regionale Abgrenzung benannt. Um ein Beispiel zu nennen: zu den bestehenden räumlichen Elementen und Ansätzen können u.a. gehören, die Pendlerströme, die Internetverbindungsinfrastrukturen, die Entfernung zum nächsten Lebensmittelladen – überhaupt die dörfliche Versorgungslage, die Anzahl öffentlicher Flächen in und um die Siedlungen, die Anzahl der BewohnerInnen, der Beschäftigten wie auch der Menschen mit prekären Einkommenssituationen, die Anzahl der Jugendlichen und Kinder, die Energieversorgungsinfrastruktur, die Wasser- und Abwasserinfrastrukturen, das Wegesystem u.e.m..
Alle diese Faktoren wurden bei dem Zuschnitt nach meinem Dafürhalten nicht berücksichtigt. Wie also kam es zu so einem Zuschnitt? Meiner Meinung nach basiert die Vorgehensweise darauf, dass im Bereich West ohne weitere Absprache auf Kreisebene (z. B. der Hauptverwaltungsbeamtenebene) vorgeprescht wurde und sich aus dieser Separatisierungstendenz erst eine LAG-West-Initiative als Reaktion darauf ergab. Einmal abgesehen davon, dass gerade der Bürgermeister von Königslutter wo immer er kann öfentlich darüber lamentiert, dass die Städte im Kreisgebiet des Landkreises Helmstedtviel stärker kooperieren sollten, ist er nach meinem persönlichen Empfinden statt verbindend segregierend tätig, denn schliesslich ist er einer der wesentlichen Fürredner einer Eingemeindung seiner Stadt in die Stadt Wolfsburg und hat so auch eines der besten Gewerbegebiete im Landkreis nicht in einer Kooperation auf Kreisebene zur Weiterentwicklung angeboten, sondern einen Erschliessungsvertrag mit der WOB AG gemacht. Es ist wie es ist und soll hier jetzt auchnicht weiter vertieft werden. Dennoch ist diese Vorgehensweise kritisch und zeugt m. E. von wenig Weitsicht. So ist eine Eingemeindung in die Stadt Wolfsburg schon von Beginn an rechtlich gesehen mehr als fragwürdig und im Grunde genommen gar nicht machbar. Ein Erschliessungsvertrag mit der WOB AG ist karrieretechnisch wie auch inhaltlich zielführend, doch ob sich dort das Engagement noch forcieren läßt, steht zumindest vor einem großen Fragezeichen, denn die steuerlichen Erträge des Gewerbegebietes werden nach dem Scheitern der Kopulationsvorhaben mit der Stadt Wolfsburg bei der Stadt Königslutter und damit im Landkreis Helmstedt bleiben.
Kommen wir zurück zu den LEADER-Vorhaben der LAG-Ost und-West.
Wenn man sich das Punktebewertungssystem einmal genauer ansieht, dann erkennt man ggf. die gerade hier genannten kritischen Punkte wieder. Im Bereich „Nachvollziehbarkeit der Regionszusammensetzung“ wird es für beiden LAG im Landkreis Helmstedt nicht gerade einfach werden. Im Bereich „Regionsabgrenzung“ erhalten LAG im Bereich Südniedersachsen gleich einmal max. fünf von acht maximal erreichbaren Punkten. Hier möchte das Land sein m. E. diskriminierendes Südniedersachsen-Programm in den Vordergrund rücken. Die LAG-Anträge aus dem Landkreis Helmstedt können demnach max. drei Punkte erreichen. Auf die Nachvollziehbarkeit der Regionszusammensetzung darf man gespannt sein.
Im Bereich „Ausgangslage“ können max. 6 Punkte erreicht werden, wobei es sehr spannend sein wird, wie sich zwei so kleinteilige Regionen innerhalb eines Landkreises resp. mit kleinen Zusatzbereichen aus einem Landkreis Wolfenbüttel hier wohl unterscheiden werden? Man kann ja schlechterdings nicht schreiben, weil ich es als Bürgermeister gerade mal schick dand oder weil die anderen vorgeprescht sind, haben wir eben parallel dazu eine LAG-West erfunden, zudem in diesem eng umgrenzten Raum zwei Nod-Süd verlaufende Gebiete konzipiert wurden, wo eigentlich alle raumwirksamen Geschehnisse eindeutig Ost-West und umgekehrt orientiert sind (natürlich mit der Ausnahme der Pendlerbeziehungen zum Volkswagenwerk in Wolfsburg).
Dieselbe Kritik gilt für die folgenden Punkte des Bewertungssystems 5 „Swotanalyse“ und 6 „Entwicklungsstrategie“. Hier dürfte die avisierte Kleinteiligkeit der beiden LAG-Anträge eigentlich nicht zum Erfolg führen. Insbesondere die Unterpunkte „für die Zielerreichung liegen Indikatoren vor“ und „für die Indikatoren sind Zielwerte festgelegt“ sind mit Spannung zu erwarten, denn die beiden „Regionen“ unterscheiden sich bei der Kleinteiligkeit und Lage so gut wie nicht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der, das es sich bei der EU-Förderung IMMER um Anteilsfinanzierungen handelt. Hier ist es von strategischer Bedeutung, dass sowohl etwaige Kofinanzierer wie auch etwaige Potenziale für Genossenschaften von Beginn an mit berücksichtigt werden sollten. Kofinanzierer können die Kommunen selbst sein, aber auch Wasserverbände, Naturschutzverbände, Landwirtschaftskammern u.ä. Bei den möglichen genossenschaftlichen InteressentInnen können z. B. Dorfenergie-Genossenschaften, Gartenproduktions-Genossenschaften u.ä. auftreten. Alle diese möglichen Kofinanzierer wurden bei dem Zuschnitt nicht von vorneherein berücksichtigt oder eben informiert und es gibt bis dato keine offiziellen Verlautbarungen, dass eben solche ggf. akquiriert worden sind.
Zuletzt sei noch der Aspekt der Nachhaltigkeit genauer benannt. Was genau ist Nachhaltigkeit?
Der Begriff entstammt in Deutschland ursprünglich der Forstwirtschaft und besagt, dass man einem Wald nicht mehr Holz entnimmt, als nachwachsen kann. Naturnahe Gesellschaften haben keinen solchen Begriff, da sie ganz anders denken und so hat die UNO vor Jahren bereits in der Biodiversitäts-Konvention offiziell anerkannt, dass eben solche naturnahen Gesellschaften schon aus Tradition (Schutz und Bewahrung des Lebensumfeldes) besonders nachhaltig wirtschaften und die Diversität fördern statt vermindern. Das wird von wachtumsorientierten Neoliberlisten gerne verunglimpft als traditionelle Lebensweise, so von wegen, wollt ihr zum Wasser holen aus dem Haus gehen oder gar in den Bäumen leben?! Das ist natürlich Blödsinn und wird gerne als Argument der wachstumorientierten HeilsbringInnen genutzt, um Ressourcen und Lebensgemeinschaften nach industriellen Gesichtspunkten „auszubeuten“ und damit auch „nachhaltig zu zerstören“.
Zur Zeit wird das Thema Nachhaltigkeit gar nicht tiefergehend in den benannten Fördervorhaben nach LEADER u.ä. bearbeitet. Auffällig ist, dass es noch nicht einmal in den Förderrichtlinien abgebildet wird! DAs zeigt genau an, dass das Thema Nachhaltigkeit keine Rolle spielt, obwohl sie für die gesellschaftliche Entwicklung so überaus wichtig ist.
Ich persönlich halte gerade das Nachhaltigkeitsprinzip für das Wichtigste, denn es ermöglicht zukunftsfähige, weil lokal orientierte Ver- und Entsorgungssysteme und hat den wunderbaren Effekt, dass es die Menschen zueinander bringt und nicht nur bestimmte und besonders lautstark auftretende Interessengruppen fördert. Nachhaltigkeit gibt gerade Gesellschaftsgruppen eine Stimme bei der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes, die sonst im Lobbygesang untergehen.
Beispiel: Wenn Dorfgemeinschaften regenerative Energiesysteme als Genossenschaften etablieren und z. B. ein Landwirt mit einer Biogasanlage Mitglied in der Genossenschaft ist und die Anlage selbst der Genossenschaft gehört, dann dient das allen und der Landwirt hat trotzdem ein zusätzliches Einkommen über die „Energieernte“. Die Dorfgemeinschaft verfügt dafür aber über das Wohl und Wehe der Energieversorgung und ist damit zukunftssicher und vor allem unabhängiger aufgestellt. Bedenken Sie bitte dabei, dass die erdölfreie Zeit kommen wird und dass bis dahin die Erdölpreise immer weiter steigen werden. Es gibt demnach keine Alternative zu den regenerativen Energiegewinnungen, doch gerade diese sollten nicht den Stromkonzernen oder einzelnen machtbewussten Einzelunternehmen überlassen werden, sondern so organisiert werden, dass die vor Ort lebenden und arbeitenden Menschen zu Miteigentümern werden.
Ein weiteres Beispiel: Wenn in einem städtischen Umfeld eine Gartenbaugenossenschaft u.a. mit z. B. einer Gruppe schwererziehbarer Jugendlicher, Langzeitarbeitslosen, GeringverdienerInnen und wie auch immer definierten Prekariatsgruppen durchführt wird, so wird zum Einen die lokale Versorgung mit frischen Lebensmitteln deutlichst verbessert und sie ist ortsnah (vergleichsweise geringe Gesteheungskosten, da u.a. keine Transporte und Kühlkosten anfallen), und zum Anderen werden randständige soziale Gruppen wieder sozial integriert und können über die Genossenschaft Auskommen und damit Lebenssicherheit erhalten, die ihnen vorher eindeutig gefehlt hat. Es ist Aufgabe des Staates, genau solche Strukturen zu fördern, denn es ist auch das staatliche Gemeinwesen, was dadurch zukünftig und vor allem nachhaltig Kosten einsparen wird (z. B. im Sozial- und Jugendbereich). Hier wird der Nachhaltigkeit also gleich mehrmals die Handgereicht.
Doch leider ist das Thema Nachhaltigkeit bis dato auf allen kommunalen Ebenen ausgespart worden und spielt bei den potenziellen LAG keinerlei Rolle. Vielmehr geht man oberflächlich darüber hinweg und erklärt jeden noch so kleinen Projektansatz als „nachhaltig“! Das das Augenwischerei ist, steht eigentlich außer Frage, oder sehen Sie das anders?!
Seid gesegnet!